05 Dezember 2006

Mässig

Wie Ihr vielleicht nicht wisst, haben wir in Mexiko einen neuen Präsidenten. Na gut, eigentlich haben wir sogar zwei neue, einen "gewählten" und einen "rechtmässigen", aber eben keinen "rechtmässig gewählten" (bitte stellt keine weiteren Fragen, die Sachlage ist schon kompliziert genug).
Das Problem war dann, den "Gewählten" zu vereidigen, denn die Fans vom "Rechtmässigen" wollten bei der Zeremonie so richtig die Sau rauslassen, und die Fans vom "Gewählten" wollten sich das nicht bieten lassen. In Anbetracht des vorhersehbaren Schlamassels entschied man sich, die Vereidigung klammheimlich zu vollziehen, um Schlag zwölfe und dort, wo sich Fox und Has' "Gute Nacht" sagen. Wie unfassbar romantisch. Fernsehmenschen waren trotzdem mit dabei, denn die Fernsehmenschen sind meistens Fans vom "Gewählten", eben drum. Naja, und jedenfalls erschien tags drauf ein gut gelaunter "Gewählter" in der Deputiertenkammer, denn er war ja schon vereidigt, ätschibätsch, und die Fans vom "Rechtmässigen" fanden das echt voll gemein.

Benachbarte und weniger benachbarte Staaten hatten eine Vertrauensperson geschickt. Frankreich zum Beispiel schickte Gilles de Robien. Den Bildungsminister. Aha. Okay. Was da wohl des Pudels Kern war? Die Gelegenheit einer kleinen erzieherischen Massnahme im mexikanischen Parlament, sozusagen en passant? Nein. Alles verlief ganz anders, nämlich:

Chichis allerkürzeste Abenteuer mit den Mimis (neue Folge)
Chirac: So, herhören. Wir brauchen jemand, der nach Mexiko fliegt. Wer will?
Minister: Ich!... Chef, ich!... Nee, ich!... Wieso du?.... Du warst schon mal!... Gar nicht wahr!... Wohl wahr!...
Chirac: Okay, langsam. Wir machen's so: Ich stell euch eine Frage, und der Erste, der die richtige Antwort gibt, darf hin. Alles klar?
Minister: Öh...
Chirac: Welche Farbe haben blaue Augen?
Minister: Rot!... Schwarz!... Gelb!... Grün!... Butter!... Heinz Rühmann!...
Chirac (fühlt sich plötzlich müde): Gut, is nich schlimm. Gilles, du fliegst.
Minister (ausser Gilles): BOAH WIE UNFAIR!
Vorhang. Schlussmelodie.

03 Dezember 2006

Der Hahn ist doch nicht tot

Schlaue Frage von Anayali, heute im Schreibkurs: Wieso ist eigentlich der Hahn das Wappentier Frankreichs? Hahaaa! Gute Frage! Ich würde sogar sagen: ausgezeichnete Frage! Ich danke dir recht herzlich für diese Frage. Schweigen. Noch mehr Schweigen.

Also gut, was soll ich antworten? Den alten Gag bringen? "Weil der Hahn der einzige Vogel ist, der auch dann noch singt, wenn er mit den Füssen tief in der Scheisse steckt"? Oder den etymologischen Holzweg beschreiten, lateinisch "gallus", was sowohl "Gallier" als auch "Hahn" heisst. Nee, eben nicht. Die Römer, die weit weniger sponnen als Obelix es wahrhaben wollte, haben den werten Vorfahren einen Bärendienst erwiesen: zwischen "gallus"-Gallier und "gallus"-Hahn besteht kein Zusammenhang, nur eben dieses naheliegende Wortspiel. Witzbolde. Und seitdem muss man sich als legitimer Nachfahre mit dem dämlichen Federvieh herumschlagen.

02 Dezember 2006

Ghost of Christmas Past

Carlos ist wieder aufgetaucht. Carlos kommt, Carlos geht, doch seit seinem letzten Verschwinden sind immerhin anderthalb Jahre verstrichen. Währenddessen verstaubten bei uns in der Wohnung seine Gitarre und sein Amp.

Das letzte Mal, dass ich mit einiger Inbrunst auf sein Auftauchen hoffte, das war im Juni 2005. Wir sollten ihm Rahmen eines Festivals ein Konzertchen geben, er an der Gitarre, ich am Keyboard. Zwei Stunden vor dem Gig teilte ich den Organisatoren schliesslich mit, dass es wohl nicht unvernünftig wäre, eine Ersatzband aus Ferner-Liefen-Beständen herbeizukarren. Da ich am selben Tag und am selben Ort ein Konzert mit einer anderen Band hatte, konzentrierte ich mich eben da drauf.


Lange her, und heute steht er bei mir im Wohnzimmer. Und, wie isses, was geht ab? Ob er noch 'ne Band habe? So mehr oder weniger, sagt er, ab und an mache er was mit einem anderen Gitarristen, und selbst? Nö, nix, völlig muerto pantalón. Vielleicht, meint er, könnten wir ja was im Februar auf die Beine stellen... Klar, cool, meld dich einfach.

Wir benutzten mein Wohnzimmer als Proberaum, Carlos, Adrián und ich (von links nach rechts auf dem Photo). Später gesellte sich noch Juan Carlos mit seinen Bongos hinzu. Die Songs stammten ausschliesslich aus Carlos' Feder. Der Rest von uns überlegte sich Arrangements dazu. Also, lieber Piano- oder Orgelsound? Ein paar Streicher drauf? Nee, hatten wir schon bei Cuando las cosas cambian. Und die zweite Gitarre, lieber Arpeggien oder Akkorde? - Im Laufe der Proben nahm der Song allmählich Form an, es gab, zumindest spürten wir es, ein paar lichte Augenblicke, als wir wussten: der Song steht, bis hierhin und nicht weiter.


Wir gaben einige Kneipenkonzerte. Ich hatte nebenbei über einen befreundeten Studiomenschen fast den Deal klargemacht: eine Aufnahme-Session wie sich's gehört, mit dem Ziel einer CD in Eigenproduktion. Doch dann verschwand plötzlich Adrián sang- und klanglos, Juan Carlos hatte keine Lust mehr und Carlos, mit dem ich die Fortsetzung als Duett plante, war dann auch weg. Nur, wie gesagt, Gitarre & Amp blieben zurück, was immerhin ein Wiedersehen ahorita versprach. Und so laufen die Dinge nun mal, in Mexiko.

01 November 2006

Hilfe, Überfall!

Bin gerade überfallen worden, musste mich mit Händen und Füssen wehren. Dachte, meine letzte Stunde hat geschlagen.

Dabei hatte ich es kommen sehen. Ich wollte gerade in den Supermarkt, da sah ich sie, die Kids, als Vampire, Hexen und Monster aller Art verkleidet, mit den kleinen kürbisförmigen Töpfchen, die nur darauf warteten, gefüllt zu werden. Das Unausweichliche vorausahnend kaufte ich einen grossen Beutel Süsses, so genannte Halloween Nougats, made im Amiland. Auf der Verpackung wird präzisiert: Fun Pumpkin Face Design, und ein mexikanischer Aufkleber übersetzt (?) das mit Dulces Suaves Savor Naranja. Die Art von Klebzeug, bei der jeder etwas zu geldgeil geratene Zahnarzt sich die Hände reibt, beschert's ihm doch eher früher als später einen ganzen Haufen Neukunden.

Ich war kaum aus dem Supermarkt, da sprangen schon zwei halb- bis viertelwüchsige Mädels auf mich zu, riefen das traditionelle ¡para mi calaverita! Kein Problem, ich war ja vorbereitet. Ich riss also den Beutel auf - und genau in dem Moment überfiel mich der Rest der Bande. Man soll's nicht meinen, aber wenn so Dreikäsehochs in Massen auftreten, entwickeln die einen Schub wie ein Tankwagen; ich wäre beinahe unter ihnen begraben worden. ¡A mí! a mí! quengelte es. In Rekordzeit hatte ich alles verteilt, stets bemüht, Gerechtigkeit walten zu lassen und die kleinen Schlaumeier auszumachen, die so taten, als hätten sie noch nichts gekriegt. Mir blieb der leere Beutel.


Mit der altmexikanischen Tradition des Totentages hatte das reichlich wenig zu tun, aber andererseits häufen sich in der mexikanischen Kulturgeschichte seit eh und je die Synkretismen. Und irgendwie verdächtige ich die Kids, mit kulturgeschichtlichen Erörterungen wenig am (Hexen)hut zu haben...

PS: Auf meinem französischen Hauptblog gibt's übrigens regelmässig Songs zum Downloaden, die (so hoffe ich) zum jeweiligen Post passen.

05 Oktober 2006

Immergrün

In zahlreichen Blogs wird seit einigen Tagen die (nicht sonderlich überraschende) Wiederkehr des Herbstes zelebriert, die Farben, die Gerüche... Wenn man allerdings unter den Tropen lebt, fühlt man sich leicht benachteiligt, wenn es darum geht, fallendes Blattwerk oder auffrischende Brisen zu beschreiben. - Kurz, wenn ich die Balkontür aufstosse, sehe ich das da:

Grüner geht's kaum. Und die Bäume bleiben so das ganze Jahr über - abgesehen von einem: der verliert im Dezember tatsächlich seine Blätter. Vermutlich ein Einwanderer, der sich die Gewohnheiten aus der Heimat bewahrt hat.

27 September 2006

Lehreralltag draussen

Schon lange keinen Aussenkurs mehr gegeben. Das dachte sich unsere Aussenkurskoordinatorin wohl auch und machte mir eins ihrer berüchtigten Angebote, die man nicht ablehnen kann. Angenommen. Stattgegeben. Dreimal die Woche von halb neun bis zehn, bei einer französischen Gasfirma, in eines dieser grossen Geschäftsgebäude an den Lomas de Chapultepec. Einzelunterricht.

Im Taxi versuche ich mir vorzustellen, wie mein Pappenheimer wohl aussehen mag. Wenn man in Firmen unterrichtet, wechselt man das Universum. Man verlässt den heimischen Klassensaal und begibt sich zum Kunden, in sein Bureau, in sein Revier. Man kann allerdings kaum behaupten, dass das den Lerneffekt steigert. Die Unterbrechungen häufen sich: Kollegen, die schnell ein "que tal, cabrón?" hereintrompeten, das ununterbrochene Handyklingeln, eine unvorgesehene Mitarbeiterversammlung, eine Videokonferenz, eine Geschäftsreise, wer weiss was noch alles, von den üblichen Verspätungen ganz abgesehen... Das Lehrerlein wappnet sich mit der berufsspezifischen Engelsgeduld, und wenn er jemals daran dachte, endlich mal Goethes gesammelte Werke zu lesen, dann wäre jetzt der Zeitpunkt gekommen.

Im Gebäude halte ich der Rezeptionistin meinen Ausweis hin, sie überreicht mir ein selbstklebendes "visitante"-Schildchen und einen zeitlich begrenzten Pass, mit dem ich durch die erste Schranke komme, hin zum Aufzug, der mich im 16. Stock absetzt, ich lasse mir vom dortigen Rezeptionisten den Pass abstempeln, trage mich im Register ein (ich bin pünktlich) und erfahre, dass mein Schüler noch nicht eingetroffen sei. Ach nee.

Manchmal mutiert das Lehrerlein zum Psychotherapeuten. Dann nämlich, wenn der Kunde uns statt brav Grammatik zu büffeln, von seinen Scherereien mit Dingsbums erzählt, und Dingsbums ist, wie es sich gehört, ein selten doofes Arschloch. Solange er's mir auf französisch erzählt, ist es mir wurscht. Vielleicht sollte ich mir irgendwann einen schönen freudianisch-weissen Bart wachsen lassen, um glaubwürdiger zu wirken.

Minuten verstreichen. Ich schmökere angeregt. Eine junge Frau tritt auf mich zu. Ich weiss schon, was sie sagen wird.

- Der Kurs muss leider ausfallen. Herr *** hat eine wichtige Versammlung...
- Ach du grüne Neune. (Gewonnen!). Aber morgen geht klar, oder?
- Äh... leider auch nicht. Die Versammlung wird etwas länger dauern...
- Verstehe. (Klar doch. Versammlungen dauern immer 48 Stunden. Hab ich auch ständig). Und Donnerstag?
- Wir melden uns.
- Ausgezeichnet. (Dann schon mal fröhliche Weihnachten). Hasta luego.

Mir egal, bezahlt werde ich trotzdem. Ein Vertrag ist ein Vertrag ist ein Vertrag. Das Witzige dabei ist, dass ich den Kurs nun schon seit drei Wochen habe, und meinen Pappenheimer habe ich noch kein einziges Mal zu Gesicht bekommen. Das Gebäude ist übrigens ganz hübsch; im Erdgeschoss gibt's sogar eine kleine Cafeteria...

25 September 2006

Festival

Kinomässig herrscht in Frankreich schon seit längerem Saure-Gurken-Zeit; so gesehen überwiegt beim Besuch eines französischen Filmfestivals in Mexiko-Stadt zunächst einmal begründete Skepsis. Vor zwei Jahren, weiss ich noch, schickte man uns u.a. einen Film, der zuvor in Frankreich bei Kritikern und Kinogängern durchgefallen war. Was sollte der Film dann noch hier? Schnell noch ein paar Rendite herausschlagen? Das mexikanische Publikum für dumm verkaufen? Weiss der Teufel...

Trotzdem, und das ist die gute Neuigkeit, bleibt französisches Kino nach wie vor attraktiv. Die Säle sind brechend voll, das Publikum zu rund 80% mexikanisch. Die Filme selbst allerdings waren ganz nett bis belanglos. Überrascht hat mich ein Splatter-Film, Sheitan, obwohl man mich normalerweise mit solchen Machwerken jagen kann. Das Interessante an dem Film war, dass im Gegensatz zu dem zehn Jahre alten La Haine, in dem Immigrantenkinder (vergeblich) gegen eine französische "Normalität" kämpften, eben diese Immigrantenkinder nun selber die Normalität darstellen und in einem Provinzkaff voller degenerierter Durchschnittsgallier landen, die ihnen auf die ein oder andere Weise an den Pelz wollen. Eine bitterböse, wenn auch genussvolle Umkehrung - z.T allerdings frommes Wunschdenken.

Für einen bescheidenen Cineasten sind Festivals die Gelegenheit, neben den Filmen auch Leute zu gucken, Schauspieler, Filmemacher, wenn nicht sogar die ganz grossen Stars-die-erstaunlich-normal-geblieben-sind-könnte-man-direkt-auf-eine-Tass-Kaff-nach-Hause-einladen. Da es bei diesem Festival nicht das geringste Stück Wellblech zu gewinnen gab, blieb die Stippvisite vom Kaliber eines Gérard Depardieu natürlich aus. Aber immerhin kam Dani, die französische Marianne Faithfull, und Danièle Thompson, die Drehbuchautorin von La Boum (die Fete), und eine vielversprechende Zwanzigjährige, die schon mit 17 den Stoff für ein Drehbuch ablieferte, das der Papa dann verfilmte, cf. mein eher misslungenes Photo - mehr war leider nicht drin, wegen der miserablen Beleuchtung; man sagt ja immer, Stars leuchten von sich aus, aber das hat auch irgendwo seine Grenzen....

21 September 2006

Kinosophie

Mein Philosophiekurs geht in die dritte Runde, diesmal mit filmischen Einsprengseln. Die Idee war, ein paar Filmschnipsel zu zeigen und einen Zusammenhang mit philosophischen Texten herzustellen. Komische Idee eigentlich, aber ich brauchte unbedingt eine Variante zum üblichen Tralala, des lieben Stammpublikums wegen; Armando und Alejandra sind schon zum dritten Mal dabei. Werde also in meiner DVD-Sammlung stöbern, brauche was im Stil "Thema 'freier Wille' - Von Anakin Skywalker zu Darth Vader". Hm... wieso habe ich den Eindruck, skeptische Mienen vor mir zu haben?...

Keine Panik. Während der Sitzung vom letzten Dienstag kam mir der Gedanke, das Ganze unter dem Motto "Verzauberung/Entzauberung" aufzuziehen, oder aber "the dream factory vs. fiat lux", oder aber "video ergo fui" - wie bitte? Es ist Zeit für meine Spritze? Ich geh' ja schon...

Ich werde alles in den Mixer stopfen; irgendwas Geniessbares wird schon dabei rauskommen. Armando hat mir bereits ein Referat angeboten: Der Exorzist im Lichte der Philosophie Teilhard de Chardins. Klingt schon mal nicht übel.

Anhang: Das Festival des französischen Films in Mexiko hat begonnen. Das Wochenende wird also sowieso leicht cineastisch.

18 September 2006

Welke Blätter 3


Meine erste Begegnung mit Professor Knabe war ein Fiasko ohnegleichen. Ich hatte eine mündliche Nachprüfung bei ihm und ganz der Torfkopf, der ich damals war, schoss ich einen Bock nach dem anderen. Jahre später, als ich sein Assistent wurde, wunderte ich mich noch immer, warum er mich damals nicht mit einem kräftigen Fusstritt aus der Uni befördert hatte.

Ich wunderte mich überhaupt, wieso er ausgerechnet mich zum Assistenten gemacht hatte und hielt das für ein kurioses Missverständnis. Kollegen, die ebenfalls frisch eingestellt worden waren, stürzten sich mit Heisshunger auf neue theoretische Ansätze und jonglierten schon bald mit mehrsilbigen Fremdwörtern, deren Wichtigkeit und vor allem Nutzen mir nicht in den Kopf wollten. Ich gab ein Proseminar über La petite marchande de prose von Daniel Pennac; zwei Studentinnen erschienen und bewiesen eine bewundernswerte Ausdauer bis zu Semesterschluss. Und nebenher assistierte ich so gut es eben ging Professor Knabe in seinem kleinen Büro in der grossen Uni, der Uni Köln.

Wir sprachen über Musik, über Fussball, über die uns gemeinsame Anglophilie, über Eisenbahnen, eine seiner Leidenschaften. Wir sprachen weniger über französische Literatur, obwohl das eigentlich unser Job war. Wir duzten uns nie, höchstens aus Versehen.

Zwei Jahre später zogen wir nach Greifswald, an die Ostsee. Ich hatte sowieso von Köln die Nase voll, und mir gefiel diese deutsche akademische Tradition: der Meister geht, der Geselle geht mit - obwohl ich dafür eine liebgewonnene Mitbewohnerin verlassen musste. In Greifswald, unter dem riesigen, wechselhaften Himmel, verlor ich Stück für Stück meine Illusionen in Sachen Uni-Karriere. Möglich, dass Professor Knabe es merkte. Von den fünf Jahren, die in an der alma mater gryphiswaldensis verbrachte, bleibt mir ein Nick, Gryphon, und damit zog ich nach Mexiko.

Mit meiner besseren Hälfte besuchte ich ihm ein Jahr später im Leverkusener Krankenhaus. Die Chemotherapie und eine misslungene Operation hatten Spuren hinterlassen. Er bot uns Kaffee an und war sichtlich erfreut, dass ich in Mexiko eine Band gefunden hatte. Wir eruierten, ob man die prähistorischen Romane von Rosny l'Aîné zur Gattung der Science-Fiction zählen konnte. Er starb im Mai 2003. Heute wäre er 64 Jahre alt geworden.

16 September 2006

¡Viva México, cabrónes!


Was denn? Wer behauptet, man müsse sich bis an die Zähne bewaffnen und in High-Tech-Panzern herumkurven, um an einer Militärparade teilzunehmen? Dabei reichen eine alte Obstkiste auf Rädern und ein Stück Schnur vollkommen, um in die Fussstapfen stolzer Regimenter zu treten und meinetwegen die Wacht am Rhein abzulösen.

Nun gut, Militärparaden sind wohl nicht anderes als eine überteuerte Variante des Satzes "Ich hab 'nen grösseren", den jeweilige Machthaber an den Rest der Welt adressieren. Zum Glück sind wir nicht in Nordkorea, also gab's wenigstens keine Atomraketen, keine grenzdebilen Diktatoren und vergreiste Generäle. Statt dessen zeigen die Mexikaner Beschaulisches: das Krankenschwester-Bataillon, die Kläffer-Brigade, das Speleologen-Regiment, die Volksküchen - und vor allem die charros im wie-man-sich-die-Mexikaner-so-vorstellt-Kostüm. Anbei einige Impressionen dazu. Rührt Euch.

Mehr Bilder gibt's hier.

14 September 2006

AMLOpolis - das Ende.


Tja, viel ist nicht geblieben vom plantón... Nächsten Samstag wird an selber Stelle wegen des Nationalfeiertags die Armee vorbeimarschieren. Da mit allem Nationalen in Mexiko nicht zu spassen ist, zogen es die Besetzer vor, die Strasse zu räumen. Für Freitag ist noch eine Demo im Stadtzentrum geplant, und AMLO hat vor, sich bei der Gelegenheit zum, ich zitiere, "rechtmässigen Präsidenten" ausrufen zu lassen und eine Parallelregierung zu bilden. Präsident Vicente Fox hingegen zieht es vor, den Nationalfeiertag im Bundesstaat Guanajuato zu begehen, also das, was Bayern für Stoiber ist.

Eine Bilanz? Zunächst einmal: Mexiko ist nicht die Ukraine. Was in Osteuropa klappte, funktioniert hier nicht. Im Gegensatz zur Ukraine war der mexikanische Demokratisierungsprozess schon zu weit fortgeschritten. So zu tun, als befinde man sich noch im Jahr 1999, unter der Fuchtel einer bis ins Mark korrumpierten Einheitspartei, hat nicht viele Leute überzeugt. Immer weniger Leute übrigens, je länger die Besetzung andauerte. Statt einer grossen Volksbewegung, die von der Hauptstadt aus in der Provinz zu ähnlichen Besetzungen geführt hätte, verstummte allmählich die Begeisterung. In diesem Sinne erwies sich die Strategie der Regierung als erfolgreich: einfach austrocknen lassen, auf ein hauptstädtisches Phänomen reduzieren.

Also alles für die Katz? Nicht ganz. Ich diskutierte noch letztens mit Don Joaquín, einem unserer liebsten Taxifahrer. Er bedauere zutiefst, dass die Regierungsperiode Fox zur Spaltung des Landes geführt habe, und sein Nachfolger werde sich damit herumschlagen müssen. Gut, meinetwegen, aber wo soll denn da das Problem sein? Alle unsere kleinen westlichen Demokratien sind gespalten, das ist ja gerade kennzeichnend für jede Demokratie. Es war natürlich einfacher, sich einig gegen eine Partei zu stellen, die 70 Jahre lang an der Macht war. Jetzt geht es darum, eine solide Opposition aufzubauen, und zwar eine parlamentarische, und das muss in die Köpfe wohl oder übel rein (leichter gesagt als getan, ich weiss...)

Als ich heute abend den plantón überquerte, waren die Leute dabei, Zelte abzubauen, Planen zusammen zu falten und zu verladen. Alles mit der grössten Ruhe, wie schon die ganze Zeit über, seit der plantón besteht. Kann man sich von inspirieren lassen, wer weiss...

28 April 2006

Deutsche Woche

Auch das gibt es: eine deutsche Woche im Supermarkt um die Ecke. Wenn allerdings die Deutschen ihre Produkte aus- oder vorstellen, wirkt das insgesamt bescheidener als wenn die Franzosen das tun. Vor gar nicht allzu langer Zeit war ich auf einer Präsentation französischer Produkte: das fand immerhin in einer eigens angemieteten Galerie statt, der Botschafter war zugegen, viele wichtige Gäste oder solche, die sich dafür hielten, jede Menge Vorträge und Häppchen. Okay, die Produkte, um die es sich handelte, liefen allesamt unter der Kategorie "Luxus": Gänseleberpastete, Schampus, Kognac, Absinth usw. Ich fragte mich, ob die Mexikaner nicht völlig falsche Vorstellungen von dem haben werden, was sich der Durchschnittsgallier zum Abendbrot so alles reinzieht, aber sei's drum.

Die deutsche Variante, wie gesagt, besteht aus ein paar Regalen, einem Tisch und einer halbwegs angelernten Halbtagsverkäuferin. Das Problem ist natürlich, dass Frischkost nicht so ohne Weiteres importiert werden kann, oder aber man muss sie klammheimlich an den Zollbeamten vorbeischmuggeln. Diese wiederum haben sich längst zu Spezialisten für erlesene Käsesorten oder Pâté-Sorten gemausert, bei all dem, was die täglich beschlagnahmen.

Fazit: keine Wurst, entgegen dem, was uns das Plakat "el sabor de Alemania" verspricht. Man speist uns mit Abgepacktem ab: Fischkonserven, Dosensuppen, Chipsletten, Schogetten. Komischerweise kenne ich abgesehen von Bahlsen oder Haribo kaum einen der Markennamen; nicht gerade das, was man bei Plus oder Aldi findet. Aber gut, geben wir ruhig obskuren Einmannbetrieben mal eine Chance (und schauen wir vorsichtshalber aufs Verfallsdatum der Packung).

20 April 2006

Musik!

Ich hatte es mal erwähnt, aber die Sache weitet sich aus, also gebe ich noch was Senf hinzu: wie viele inzwischen wissen, spriessen seit einiger Zeit in der Blogosphäre die musikalischen Weblogs wie Pilzköpfe aus den Boxen. Noch schöner: es existiert eine Website, die praktischerweise als Sammelstelle für Musikblogs fungiert und Links zu den einzelnen Downloads anbietet. Legal? Illegal? Gut, wenn ihr euch von Mexikos aus einloggt, könnt ihr den lieben Mann einen guten Gott sein lassen und das Zeug einfach runterladen. Falls ihr euch von Europa aus einloggt, verständigt euch erst mit eurem schlitzohrigen Anwalt und dann könnt ihr das Zeug runterladen. Aber auch ohne Rechtsbeistand habe ich nicht den Eindruck, dass sich plötzlich FBI-Agenten, Bundesgrenzschutz oder Heilsarmee bei euch im Hausflur tummeln werden. Immerhin haben sich die Musikblogger einer Deontologie verschrieben: zum Beispiel bleiben die Songs nur für eine begrenzte Zeit online, manchmal nur für sieben Tage (obwohl man hin und wieder die ein oder andere nette Überraschung erlebt...). Der Akzent des Angebots liegt klar auf Indie-Rock, also Musik, für die es wenig oder kaum Promotion gibt. Der andere Schwerpunkt sind fast vergessene Klassiker, die es höchstens noch auf Vinyl gibt (erinnert euch: die runden schwarzen Scheiben mit dem Loch in der Mitte...). Oder wer erinnert sich noch an die Ventures, die Swan Silvertones, an Jacqueline Taïeb oder die West Coast Pop Art Experimental Band? Aha. Ich nämlich auch nicht.

Klarer Fall: Wahre Musikliebhaber sind angesprochen. Wenn ihr nur einmal im Jahr eine CD kauft und besagte CD die neue Madonna ist, dann sind solche Musikblogs wohl nichts für euch (jaja, schon gut, alles Geschmacksache...). Für die anderen empfiehlt sich ein 10-Giga-Speicher auf dem iPod.

14 April 2006

Alles in Butter

Den Preis für den dämlichsten Produktnamen des Monats trotz hartnäckiger Konkurrenz gewinnt diesmal:

Jawoll, I Can't Believe It's Not Butter, eigentlich ultrahocherhitzte Margarine (gesalzen). Zum Glück steht's drauf. Denn wenn man nur den Markennamen liest, also Ich kann's nicht glauben, dass das keine Butter ist, tja, was hätte man da wohl messerspitzenscharf gefolgert? "Hm... doppelte Verneinung... also ist es Butter!" - "Nee, Quatsch, er sagt doch, dass er nicht glauben kann, dass es keine Butter ist!" - "Eben, und er täuscht sich, also ist es Butter." - "Eben nicht!" - "Eben doch!" - "Du mich auch." - "Ich dich was?!" piff! PAFF! etc.

Wer kommt denn auf solche Namen? Ich habe ein paar schlaflose Nächte verbracht und bin dann zu dem Schluss gekommen, dass hier womöglich Talkshows inspirierend gewirkt haben. Als wär's ein Untertitel, der in Zitatform möglichst griffig die Showgäste charaterisieren soll. "Und nun, meine Damunherrn, kommen wir zu unserem nächsten Gast, Gary aus Tucson/Arizona, der, glaube ich, uns ein einfühlsames Geständnis machen wird. Applaus!" Klatsch klatsch klatsch. Kaum ist der Applaus abgewürgt, bricht Gary in Tränen aus: "Ich... ich kann's nicht glauben, dass das keine Butter ist, bääääääh". Unten am Bildschirm wird eingeblendet: Gary aus Tucson/Arizona - "Ich kann's nicht glauben, dass das keine Butter ist" Dramatisch. Fesselnd. So fesselnd, dass sich ein PR-Mensch, der just zu dieser Uhrzeit vorm Fernseher sass, gesagt haben muss, he, gar nicht so blöd, könnte man glatt als Produktname für unsere Margarine nehmen!... Gesagt, getan.

Und so werden uns wieder mal Sachen auf's Brot geschmiert...

12 April 2006

Yemen

Nein, ich bin nicht überraschend nach Jemen gereist, ich sitze nur in einem Café, das zufällig so heisst. Die Besitzer sind vermutlich Jemeniten, wenn auch nichts im Café, weder im Design noch in der Speisekarte, irgendeinen orientalischen Ursprung verrät. Oder doch: das eingravierte Kamel in der Tischplatte, aber andererseits hat vielleicht nur der Sponsor, eine bekannte Zigarettenmarke, für diskrete Werbung gesorgt.

Jemeniten habe ich nur in Greifswald kennengelernt; die meisten studierten Pharmazeutik. Ich war kaum in die Stadt gezogen, da machte mich Estéban der Spanischlektor mit seinem orientalischen Freundeskreis bekannt. Es gab einige denkwürdige Feten, an denen neben den Jemeniten auch Syrianer, Libanesen oder Ägypten teilnahmen. Von religiösem Fanatismus keine Spur, keine der Frauen trug ein Kopftuch. Jahre später habe ich erfahren, dass einer der Terroristen von 11. September genau in dieser Zeit ebenfalls in Greifswald war, um dann später zu der berüchtigten Hamburger Zelle um Mohammed Atta zu stossen. Ich frage mich, ob der mit den selben Leuten wie ich Umgang hatte. Wer weiss, vielleicht hat's sogar einen Partyplausch zwischen uns gegeben? "Na, was willste denn machen, nach dem Studium? Pilot? Hey, cool!..."

08 April 2006

Gelassen

Manche Zeichen trügen nicht. Élodie zum Beispiel, die mir an diesem Samstagnachmittag mit leuchtenden Augen zuflüstert: "Noch eine Stunde und fünfzehn Minuten, und wir haben Urlaub!" Wir sind im Institut, und es finden die letzten Kurse vor den zweiwöchigen Osterferien statt. Wir immer haben alle die Nase voll von der Arbeit, als ob die nahenden Ferien reale oder erdachte Müdigkeit legitimierten. Von den Studis haben komischerweise die wenigsten blau gemacht, dabei ist es eine wohlbekannte Tatsache, dass die Hauptstädter während der semana santa ausschwärmen. Für die Dagebliebenen bedeutet das folglich mehr Lebensqualität: weniger Verkehr, weniger Abgase, Taxis wann man will, keine Wartezeiten in Restaurants. Für einige Tage wirkt die Stadt ungemein gelassen, wie hier in der Strasse, in der wir wohnen:

Inzwischen ist es Abend, ich habe offiziell Urlaub und schüttle den Stress der vergangenen Tage von mir ab. Die Strasse sehe ich nun mit anderen Augen, eine Fülle alltäglicher Details erschliessen sich mir. Don Cruz lehnt gedankenversunken mit dem Rücken an einem Wagen, den er gerade gewaschen hat. Don Ray, sein Helfer, wirft mir grinsend einen wissenden Blick zu (obwohl ich immer noch nicht weiss, auf welches Wissen er anspielt und ob dieses Wissen ein Grinsen rechtfertigt). Etwas weiter hinten unterhalten sich die Taxifahrer auf ihrem sitio, warten auf eine Meldung der Zentrale. Blätter fallen, Zweige spriessen, Grünzeug grünt - hier machen die Bäume, was sie wollen, jeder entscheidet für sich, ob Frühling, Sommer oder Herbst ist. Etwas später geht einer der Nachbarn mit seinen beiden Labradors Gassi. Und mit seinen beiden grünen Papageien, einen auf jeder Schulter. Alle da, alles in Ordnung...

31 März 2006

Verarbeiten

Die Server meines französischen Blogs hatten kurzfristig den Geist aufgegeben, anscheinend aufgrund eines Totalausfalls des staatlichen Stromversorgers. In den Foren gab es rauhe Mengen ärgerlicher, zum Teil hysterischer Posts, auch das ein Zeichen, dass in Frankreich momentan vieles schief läuft. Allerdings hatte ich die ganze Woche über so viel zu tun, dass ich selber gar nicht zum Posten gekommen wäre. Insbesondere mein Job als Personalvertreter hielt mich auf Trab: Meeting mit den anderen Personalvertretern am Mittwoch, mit dem Personal am Donnerstag, mit dem Boss am Freitag, Vorbereitung der Vollversammlung am Montag... Immerhin hat uns der Boss die Funktionsweise des französischen (und vermutlich nicht nur des französischen) Verwaltungsapparats erklärt: "Wenn man euch sagt, der Mülleimer ist ein Hund, dann gebt ihm Zucker und verlangt von ihm, er soll Männchen machen." Klasse Tipp. Ich hab's gleich mit dem nächst erreichbaren Mülleimer ausprobiert.

Unterdessen turnt meine bessere Hälfte dienstlich in Frankreich rum, was wie immer Auswirkungen auf meine Essensgewohnheiten hat (Nudeln, Pasta, diverse Cholesterinbomben). Nur am Mittwoch hatte Aurora überraschend ein Abendessen zubereitet, ein ausgezeichnetes, fast gar nicht scharf... Okay, in den Stunden danach konnte ich meine Kippen ohne Feuerzeug anzünden, einfach draufblasen und schon...

Der französische Verkehrsminister meinte neulich, dass die zum Teil gewalttätigen Demos in Frankreich dem Tourismus abträglich seien. Meine Studis, allesamt frankophil und potentielle Touristen, finden das nicht. Mal abgesehen, dass sie samt und sonders gegen den von der Regierung durchgepeitschten Arbeitsvertrag sind, wissen sie auch zwischen Demonstanten und Krawallmachern zu unterscheiden.

28 März 2006

A Year in the Merde

Wir Ausgewanderte, Nomaden, Durchreisende kennen das zu Genüge: bizarre Erfahrungen, Begegnungen der dritten Art und darüber hinaus, kulturelle, finanzielle oder bürokratische Miss- und Einverständnisse, falsche Entdeckungen und wahre Odysseen. Man braucht nur bei www.expat-blog.com vorbeizuschauen und schon wird man fündig: uns allen passieren meistens ähnliche Geschichten. Und dann gibt es ja noch Bücher. Unter den Bestsellern der Antike finden sich verdächtig viele Geschichten von Leuten, die nicht still sitzen konnten oder durften: die Odyssee natürlich, Exodus, bis hin zu Ovids Epistulae ex Ponto. Aktuelleres zum Thema findet man bei Stephen Clarke und seinem Opus A Year In The Merde. Ein Jahr in der Scheisse, oder eben die Geschichte eines Briten, der ein Jahr in Paris verbringt, dort ein Tearoom-Kette aufbauen soll und mit allen möglichen und unmöglichen Arbeits-, Essens- und Liebesweisen der Franzosen konfrontiert wird. Und es ist zum Totlachen. Ein Franzosenhassbuch ist es nicht, anders als der Titel verlauten lässt. Ich wittere vielmehr einen Seitenhieb auf den Kollegen Peter Mayle und sein A Year In The Provence, eine doch etwas zu süssliche Idylle des Lebens way down south.
Insgesamt also britischer Humor in Bestform. Und übrigens, so scheisse kann das Jahr für Stephen Clarkes Titelfigur nicht gewesen sein, denn längst gibt es eine Fortsetzung. Die natürlich einen ähnlich beschissenen Titel trägt.

24 März 2006

Es lebe Aurora!

Jeden Dienstag Abend rechtfertigt das traute Heim, das uns als Wohnung dient, einen Einsatz des Katastrophenschutzes, des technischen Hilfswerks und des BKA: es herrscht eben leichte Unordnung. Dass meine bessere Hälfte und ich trotzdem nicht zum Telefon greifen, liegt daran, dass tags drauf Aurora kommt. Und ohne Aurora, so viel steht fest, wären wir aufgeschmissen.

Aurora ist unsere Putzfrau. Eigentlich ist sie tausendmal mehr als das. Ich hatte lange geglaubt, "Hausfrau" hiesse auf Spanisch "alma de casa", also wörtlich "Seele des Hauses", und ich fand das ungemein poetisch und im Falle Auroras ungemein zutreffend. Erst kürzlich habe ich erfahren, dass "Hausfrau" in Wirklichkeit "ama de casa", also "Herrin des Hauses" heisst, was schon wesentlich prosaischer klingt und im Falle Auroras auch zu prosaisch.

Aurora waltete schon ihres Amtes, lange bevor ich nach Mexiko kam. Ich war es nicht gewohnt, eine Putzfrau zu haben. In Deutschland verdächtigt man sich ja der Sklavenhaltung, wenn man nicht gerade eine Grossfamilie managt. Mein Vater hat zwar auch eine Putzfrau, doch erleidet er am Vorabend regelmässig Panikattacken und räumt alles auf, damit die Putzfrau aufräumen kann. Hier in Mexiko dagegen hat fast jeder eine muchacha, gutsituierte Familien verfügen sogar über ganze Regimenter von muchachas, und wie gesagt, manche sind gelegentlich mehr als das. Aurora zum Beispiel ist sich nicht zu schade, uns eine gewisse Sorglosigkeit vor Augen zu führen, wenn sie mal wieder im Kühlschrank die Überreste des Mittagessens von vor einer Woche entdeckt. Worauf sie mir besagte Überreste vor die Nase hält und scheinbar überlegend meint, das könne man doch wegwerfen, oder? Machmal kann der Zaunpfahl gar nicht gross genug sein.

Sie steckt voller Initiativen, besonders in Sachen Innenarchitektur. Gut, wenn wir aus dem Urlaub kommen, haben wir gelegentlich den Eindruck, wir hätten zufällig die falsche Wohnung betreten. "Liebling, war das Schlafzimmer nicht hier, vorher?" - "Äh... meinst du?". Aber Aurora darf das. Und wir gewöhnen uns an die neuen Arrangements, die mitunter mehr feng shui versprühen als früher, wer weiss.

Mittwoch abend ist alles pikobello. Übrigens laden wir am liebsten mittwochs Leute ein. Was nicht weiter verwundern soll.

18 März 2006

Man kultiviert sich

Im Institut gehört es zum guten Ton, den Mexikanern nicht nur die Feinheiten der französischen Sprache sondern auch die Grundlagen französischer Kultur beizubringen. Nichts leichter als das, hm? Wie dem auch sei, heute ist für meinen Fortgeschrittenenkurs "Klassenausflug" angesagt, und zwar ins Casa de Francia, Besichtigung mit Führung bis 20h00, anschliessend kann man noch im Viertel einen trinken gehen und damit die corporate identity fördern. Wie immer, wenn ich so was organisiere, bleibt die Hälfte des Kurses schlicht zu Hause, und auch dieser Kurs hält der Tradition die Treue, was will man machen.

Ich treffe verfrüht ein und nutze die Zeit, um mich in der Buchhandlung umzusehen, kaufe ein paar Zeitungen. Bei allem, was in Paris zur Zeit wieder abgeht, muss man sich ja informieren. Das Buchangebot ist wie immer armselig. Kollegen haben schon vermutet, diese Buchhandlung diene eigentlich der Geldwäsche. Nach und nach erscheinen die Studis, David, Atenea, Gilda, die beiden Alejandras, Mario, Marco, Homar - es kann losgehen. Zu meiner Linken, das Restaurant "Cordon Bleu", eigentlich eine Kochschule, sehr gut und sehr teuer. Zu meiner Rechten, das Institut für Modedesign (Gastronomie und Haute Couture, man bleibt sich treu...). Und nun die Mediathek. Diese ist allerdings ausgezeichnet, dank verdienstvoller Mitarbeiter. Zunächst die Zeitschriften, dann die CDs, dann die DVDs, schliesslich die Bücher. Den Studis gefällt es (was durchaus beabsichtigt war), sie sind sogar hellauf begeistert, als sie die Erwachsenencomicabteilung entdecken mitsamt den wenig prüden Illustrationen (das war zwar weniger beabsichtigt, aber wenn schon...). Ich weise darauf hin, dass Leute wie Reiser, Moëbius, Druillet, Margerin etcetera in Frankreich zur Hochkultur zählen.

Wir lassen den Abend im Konditori in der Zona Rosa ausklingen. Vor rund dreissig Jahren zählte das Viertel noch zu den kulturell dynamischsten. Inzwischen ist es eine einzige Touristenfalle mit wenig Lichtblicken, dafür mit um so mehr kitschigen Mariachibars und Stripteaselokalen. Die Studis stellen mir die üblichen Fragen, wie lange ich schon im Mexiko sei, warum und mit wem, welche andere mexikanische Städte ich schon besichtigt habe, was mir an der Hauptstadt besonders missfalle (komisch, ich werde selten gefragt, was ich an der Hauptstadt liebe...). Ich spule meine Standardantworten ab, dann bin ich mit dem Auskundschaften dran. Atenea lädt mich zu den Proben ihrer Band ein, dessen Sängerin sie ist. Und das war's auch schon: Acht Studis, denen Gelegenheit gegeben wurde, ihr Französisch mal ausserhalb des Klassenraums anzuwenden.

Was anderes: neulich stand im Spiegel, dass die mp3-Tauschbörsen im Netz nacheinander dichtmachen. Ach nee? In der Bloggerszene gibt es noch genug Widerständler, keine Angst. Und mal ehrlich, ich werde mich kaum genieren, hier und dort die Maus spazieren zu führen, besonders, wenn es um Musik geht, die kaum oder gar nicht im Handel vorrätig ist. Man muss ja nicht den Schrott hören, den uns die Majors andrehen wollen, und Deutschland kann von mir aus seinen Superstar suchen, aber ohne mich. Wen's interessiert, der kann zum Beispiel mal bei mordi vorbeischauen und sich durch die Links klicken. Da gibt's einiges zu hören - und nicht nur zu hören, hehe!... Was? Nö, habichnichgesagt.

13 März 2006

Welke Blätter 2

Ich war wohl etwas voreilig, bei den letzten Welken Blättern. Natürlich kann man im Netz rauhe Mengen spitzfindiger Anekdötchen über alle möglichen Leute finden, wenn man die üblichen Suchmaschinen anschmeisst. Es kann allerdings auch vorkommen, dass Leute, die vor zwei oder drei Jahren noch präsent waren, auf Nimmerwiedersehen verschwinden... Sehr beunruhigend...

Heather zum Beispiel. Das war noch aus der Zeit, Anfang der Neunziger, als ich in einer Kölner WG wohnte, sechs Leute, drei Männlein, drei Weiblein. Heather gehörte zum Bekanntenkreis von Jochen dem Drummer. In Wirklichkeit hiess sie nicht Heather, sie war glaube ich kenianischen Ursprungs und adoptiert worden, andererseits klang Heather wesentlich cooler, wenn man Sängerin in einer Soulband war, den Soul Suckers. Die Band hatte lokale Berühmtheit erlangt - und dabei sollte es auch bleiben. Es reichte aber immerhin für eine Live-CD.

Gerade live war die Band ausgesprochen gut, nicht zuletzt wegen Heather, die, wenn sie einen Klassiker wie "I've Been Loving You Too Long" darbot, sich dermassen ins Zeug legte, dass der Gänsehauteffekt bis zum nächsten Wochenende anhielt. Sie wusste Bescheid. Wenn sie mal einen Fernsehauftritt als Background-Sängerin für irgendeinen längst vergessenen Typ hatte, tat sie das mit der erforderlichen Coolness, warf mal beispielsweise mitten im Einsatz einen Blick zur Seite, so, als passierte gerade was im Off - in Wirklichkeit war da nix, aber so demonstrierte sie a) dass sie ihren Job beherrschte und b) dass sie sich erlauben konnte, sich während der Aufnahme ablenken zu lassen. Und c), dass das Schicksal des Knallkopps im Scheinwerferlicht ihr am Arsch vorbeiging.

Einige Zeit später wurde in der WG ein Zimmer frei, und Heather zog ein. Da sie chronisch Pleite war und es mit der Miete auch sonst nicht so genau nahm, mussten gelegentlich sog. klärende Gespräche statt finden. Irgendwann hatte Jochen und ein paar andere Kumpels mit ihr eine Cover-Version von "Streets of London" produziert, die allerdings auch nicht abhob. Es reichte damals, schwarz zu sein und in angesagten Kneipen herumzuhängen, um irgendwelche Sonntagsproduzenten anzulocken, die nach einem eingehenden Casting ("Singste?") auf einen intergalaktischen Hit hofften.

Irgendwann bin ich ausgezogen und habe Heather aus den Augen verloren. Die Soul Suckers gibt es längst nicht mehr; eine verwaiste Website zeugt noch von ihrer Existenz. Jahre später hat Heather eine weitere Maxi-CD aufgenommen. Dann verlieren sich die Spuren.

08 März 2006

Lockruf

Tut mir ja leid, Euch das einfach so zu sagen, Euch Europäern und Nordnordamerikanern, die Ihr momentan von Schnee und Wind und Regen und Kälte arg gebeutelt werdet - aber wir hier in Mexiko, wir geniessen gerade angenehme sommerliche Temperaturen. Noch dazu blühen wieder die Jacarandas; ganz México violettisiert sich. Und das sieht dann so aus:

Hübsch, nicht?

PS: Worauf wartet Ihr noch? Wandert aus!

04 März 2006

Tragik des Kakerlakendaseins

Schaut euch mal das folgende Bild genau an. Es handelt sich um die kläglichen Überreste eines grosszügigen Buffets, das jeden Samstag in der Cafeteria des IFAL pünktlich um 11h30 den Profs und Studis aufgetischt wird:

Und? Irgendwas Schockierendes? Nicht? Genau. Anscheinend hat's allen geschmeckt, Beschwerden gab es keine. Und doch hat vor einigen Tagen ein Zwischenfall das Vertrauenskapital, das kritischen VerbraucherInnnen, also Leute wie du und ich, eine feste Burg ist, entscheidend dekonstruiert, ja geradezu zerfetzt. Dabei arbeiten in der Cafeteria anständige Leute, die wer weiss gelegentlich selber am Hungertuch nagen (was ja, wenn ich's mir recht überlege, in einer Cafeteria der Gipfel wäre - aber ich schweife ab).

Kurz, eines schönen Morgens bestellte sich Kollegin Hilda huevos a la mexicana, also tomatierte chilierte Rühreier, und gerade wollte sie sich mit einem munteren Gabelstich über ihr Essen hermachen, als sie - ¡ay, que horror! - in besagten Rühreiern einen Fremdkörper ausmachte, und zwar den einer Kakerlake. Hallo.

Ein Laie in Sachen mexikanischer Küche würde nun die üblichen Sprüche kloppen und behaupten, die Mexikaner, die fressen ja alles Mögliche, Würmer, Heuschrecken, Iguane, Labskaus - ah nee, Labskaus, das sind ja wir - und hätten sogar dem zähen Insekt eines ihrer beliebtesten Volkslieder gewidmet, La Cucaracha, und also braucht man sich nicht zu wundern. Von wegen: abgesehen davon, dass Kollegin Hilda Mexikanerin ist und man ihr so schnell kein X für ein U vormacht, hat eine Kakerlake nach Meinung anerkannter Experten in huevos a la mexicana nichts verloren. Daher der Skandal, zwei oder drei grün angelaufene Gesichter, und Sandra, die stante pede jedem Anwesenden augenblicklich vorschlägt, die Küche zu begutachten, nur für den Fall, dass jemand meinte, darin spielten sich Szenen wie in einem Billighorrorstreifen ab, etwa "Kakerlaken küsst man nicht".

Und dabei war mir nur ein Tag zuvor doch tatsächlich eine Kakerlake im Institutsflur begegnet. Vielleicht war es sie ja. Wenn ich gewusst hätte... Und wenn sie gewusst hätte, dass schon bald ihr Leben im Rührei enden würde! Das Leben ist eine einzige tomatierte chilierte Tragödie.

02 März 2006

Das Geheimnis des Rätsels des Schatzes

Statt auf Löwen-, Fuchs-, Hasen- oder Hexenjagd zu gehen, kann man sich auch mit harmloseren Varianten zufriedengeben. Zum Beispiel mit der Bücherjagd. Was México betrifft, so befinden sich die ergiebigsten Jagdgründe in der Calle Donceles, im historischen Zentrum. Ein Antiquariat grenzt dort ans andere, die Bücher stapeln sich bis zur Decke, mal penibel sortiert, mal chaotisch angehäuft. Ich für meinen Teil suche in erster Linie nach deutschen oder französischen Büchern. Manchmal werde ich fündig, stosse auf eine Rarität, eine längst vergessene Erst- oder Kleinstausgabe, nette Sächelchen eben. Ich kann mich allerdings auch mit Kleinwild begnügen. Das Spannende ist ja, nicht nur das Buch selbst, sondern auch Spuren vom ehemaligen Besitzer zu finden, schliesslich haftet an jedem deutschen oder französischen Buch, dass man hier in Mexiko findet, etwas Geheimnisvolles: wie kam das Buch hierhin? Wer war der Besitzer? Wer hat es verkauft?

Diesmal finde ich ein Werk der belgischen Autorin Françoise Mallet-Joris, "La maison de papier", Erstausgabe, erschienen 1970 beim Pariser Grasset-Verlag. Nichts Besonderes, die Taschenbuchausgabe ist im Handel vorrätig - wäre da nicht ein Kärtchen, das ein gewisser André M***, seines Zeichens Generalsekretär einer Firma aus dem Vorortstädtchen Ivry-sur-Seine, an eine ebenso gewisse Suzanne M*** richtet. Die Firma gibt es übrigens noch, hab's überprüft. Das Kärtchen ist auf den 17 November 1970 datiert. Der Wortlaut (ich übersetze):

mit meiner Hochachtung
für Frau Suzanne M***
die Memoiren des kürzlich verstorbenen Sie-wissen-schon-wer sind nicht mehr vorrätig. Eine Neufauflage ist in Planung. Mit meinem Bedauern.

Hmm... Kürzlich verstorben? Das kann nur Charles de Gaulle sein, verstorben am 9. November 1970. Die Memoiren blieben zwar unvollendet, doch ist es denkbar, dass sozusagen als Totenehrung ein Run auf den ersten bis dato veröffentlichten Band einsetzte. Okay, zusammengefasst hiesse das Folgendes: Frau Suzanne M*** (wer war sie? eine Französin in Mexiko? als was? verheiratet? mit wem?) bittet ihren Bekannten André M*** um die Memoiren de Gaulles. Dieser gehorcht, kehrt aber mit leeren Händen von seinem Buchhändler zurück und schickt ihr stattdessen "La maison de papier" von Françoise Mallet-Joris. Komisch, warum ausgerechnet dieses Buch? Mallet-Joris galt noch zu dieser Zeit als Autorin eines skandalösen Romans, in dem erstmals lesbische Liebe thematisiert wurde, hatte allerdings in späteren Jahren den ein oder anderen Literaturpreis eingeheimst und war gerade Mitglied der Académie Goncourt geworden. Nichts jedoch, was auf einen Zusammenhang mit dem verstorbenen Staatsmann schliessen liesse. Wahrscheinlich war Freund André nicht gerade ein Literaturkenner... Was verband ihn mit Suzanne M***? War sie vielleicht die Frau eines Geschäftspartners? Vielleicht nicht. Warum hat Suzanne M*** das Kärtchen im Buch aufbewahrt? Seltsam ist auch die Formulierung "Sie-wissen-schon-wer", so als wäre nicht de Gaulle, sondern der leibhaftige Lord Voldemort gemeint.

Ich hätte beinahe noch ein Traktat über die Komödie gekauft, dass ein Typ namens Aristoteles geschrieben hat (vermutlich ein Pseudonym). Das Buch wirkte sehr alt, die Seiten waren unten seltsam geschwärzt und das Ganze war auf Griechisch. Aber da mich Komödien nicht interessieren...

26 Februar 2006

Flagge zeigen

Kleines Personalvertretertreffen, ohne Stress und schon gar nicht konspirativ, auf der Terrasse der institutseigenen Cafeteria. Sinn des Treffens ist die Ausarbeitung einer gemeinsamen Strategie im Hinblick auf das grosse Treffen mit dem Big Boss nächsten Freitag. "Gemeinsam" auch deswegen, weil drei Institutionen beteiligt sind, das IFAL, das Casa de Francia und die Botschaft. Man kennt sich von einer Institution zur anderen kaum, die Erfahrungen als Personalvertreter sind unterschiedlich - meine Erfahrung tendiert übrigens gegen null. Christine war bereits Personalvertreterin, wie auch Araceli, wie auch Lucia, die seit mindestens dreissig Jahren in der Firma malocht und ein dementsprechend elefantastisches Gedächtnis in Sachen Personal hat.

Anderthalb Stunden später haben wir eine Tagesordnung aufgestellt, die einigermassen Kopf und Fuss hat. Ich frage mich zwar immer noch, welchem Arbeitsrecht wir unterliegen, dem mexikanischen oder dem französischen, aber wir fühlen uns gerüstet, die Revolution die Debatte in Angriff zu nehmen. Falls uns die Inspiration verloren geht, können wir immer noch zu Trotskys Haus im Süden der Stadt pilgern, wer weiss, vielleicht hilft's. Aber hört, hört? Fanfaren? Was geht denn jetzt ab? Hat jemand eine Revolution ausgerufen, ohne uns Bescheid zu sagen? Ich schau mal nach... Ach so, hatte ich ganz vergessen: heute, Freitag 24. Februar, ist dia de la bandera, Flaggentag, und soviel ich weiss ist Mexiko das einzige Land, in dem ein solcher Flaggentag überhaupt begangen wird. Die Fanfaren, das waren Schüler in ihrer Schuluniform, die durchs Viertel marschieren und sämtliche Flaggen darbieten, die Staatsflagge, die der einzelnen Bundesstaaten und sogar die der unvermeidlichen Jungfrau von Guadalupe, was mir in einem offiziell laizistischen Land wie Mexiko wenig orthodox erscheint. Aber egal; solange man Spass hat...

23 Februar 2006

Der Müll und ich

Bin von einer Frau angepflaumt worden, und das geschah so: ich hatte die Wohnung verlassen, war unterwegs in Richtung IFAL und schleppte einen grossen schwarzen Müllsack voller Hausmüll mit mir herum, den ich an der üblichen Stelle absetzen wollte. Aus den Augenwinkeln heraus sah ich eine Frau, die in ihrem grossen Wagen offenbar Schwierigkeiten mit dem Einparken hatte. Ich stellte den Sack ab, tat ein paar Schritte, hörte ein kurzes Hupen, drehte mich um und - nanu? - die Dame hatte es mit mir.

"Entschuldigung", sagte sie, "Sie haben Ihren Müll vergessen!" Ich sagte, nö, ich habe gar nix vergessen, das sei der Ort, an dem die gesamte Nachbarschaft ihren Müll abstelle. Ich muss nicht sehr glaubwürdig geklungen haben. "Sie sind Ausländer, nicht wahr?". Ah ja, da haben wir's. Gleich würde sie mir einen Vortrag halten, dass ich im Grunde nicht mehr wert sei als das, was ich gerade abgestellt hatte, und dass ich mich als Ausländer eigentlich in aller Demut vor ihr verneigen müsste. Vor ihr und ihrer grossen Kiste. Die sich nicht einparken liess. Sie sagte, man müsse doch die Strassen sauberhalten. Ich sagte, die Müllabfuhr käme in zwei, drei Stunden, wie jeden Tag. Sie behauptete, die Müllabfuhr sei schon durch. Gut, damit gestand sie mir implizit, dass sie genau wusste, dass an dieser Stelle der Müll deponiert wird (was ja ein am Pfosten angebrachtes Schildchen beweist). Ich zuckte die Schultern und ging. Sie warf mir irgendein Schimpfwort hinterher, als Krönung ihrer durchdachten Argumentation. Hoffentlich hat sie wenigstens vor Ankunft der Müllmänner einparken können...

Und die Moral von der Geschicht'? Gibt's keine. Nur eine kleine Stadtgeschichte.

19 Februar 2006

Neue Gesichter

Die Luft wird spürbar wärmer. Letzte Kurve vor der grossen Hitze.

Die neuen Kurse haben begonnen. Man hat mir einen Fortgeschrittenenkurs und einen Diskussionskurs zugeteilt. Und noch meinen Philosophie-Workshop, der zur Hälfte aus Wiederholungstätern vom letzten Semester besteht. Ihnen zuliebe musste ich mein Konzept etwas abändern: keine philosophischen Texte mehr, sondern Nachrichten aller Art, die Philosophisches hergeben. Wir fangen übrigens gleich mit dem Karikaturenstreit an.

Spannend und wichtig zu Beginn ist es, seine Pappenheimer kennen zu lernen; wissen, mit wem man es zu tun hat. Viele neue Gesichter, darunter eine ehemalige Diplomatin, die in Rom, Tokio, Bonn und Ost-Berlin zu DDR-Zeiten stationiert war, eine Tänzerin, die eigene Performances kreiert und eine zeitlang in Essen studiert hat, eine Tanzlehrerin, spezialisiert auf hawaiische Tänze (man erhofft sich eine Kostprobe ihres Könnens!), die französisch in Polynesien gelernt hat, und dann wie immer viele Ingenieure, Chemiker, Übersetzerinnen, BWL-Studenten, Auswanderungswillige, oder solche, die schlicht in Paris oder Nizza oder Compiègne studieren wollen.

Da ich darauf bestehe, dass die Studis sich nicht selbst vostellen, sondern vom Nachbarn oder von der Nachbarin vorgestellt werden, kommen hin und wieder eigentümliche Sachen zum Vorschein: ein Kerl sagt von einer Kommilitonin, er kenne sie seit fünfzehn Jahren, sie sei eine wirklich nette Person (betont er), sie könne phantastisch Nudeln mit allen möglichen Saucen kochen (betont er ferner), und ausserdem sei sie über beide Ohren in Ewan McGregor verknallt. So genau wollte ich's eigentlich gar nicht wissen.

Bisher keine Nervensäge in Sicht.

17 Februar 2006

Welke Blätter 1

Einer der grossen Vorzüge des Internets ist ja, dass man Spuren von allen möglichen Leuten findet. Auch von Leuten, die nie vorhatten, im Internet verewigt zu werden, dank eines Kollegen, eines Bekannten-der-es-gut-mit-einem-meint.

Als ich 1987/88 mein Jahr an der Sorbonne absolvierte, lernte ich zwei Freundinnen kennen, weiss nicht mehr wo, wahrscheinlich in irgendeinem Hörsaal. Die eine, nennen wir sie Pauline, wohnte noch bei ihren Eltern, Grossbürgertum des 6. Arrondissements, Traditionalisten, kein Fernsehen, dafür erlesene Werkausgaben und Lexika von anno dazumal, sie selbst sehr katholisch, brachte den Kids anderer grossbürgerlicher Familien den Kateschismus bei. Die andere, nennen wir sie Agnès, ursprünglich aus der Normandie, hatte ein Zimmer im selben Gebäude bezogen, interessierte sich mehr für's Soziale und hatte eigentlich sonst nicht viel mit Pauline gemeinsam. Ich war wahrscheinlich in die eine oder andere verknallt, genau weiss ich es nicht, überhaupt wusste ich mit 22 nicht im Geringsten, was ich wollte. Hätte man mir gesagt, ich würde eines Tages aus Mexiko bloggen, ich hätte verwundert aus der Wäsche geschaut. Pauline und Agnès dagegen, nennen wir sie mal so, wussten schon damals genau, was sie wollten.

Nach einigem Stöbern im Netz steht nun fest, dass beide den festgesteckten Kurs ziemlich genau eingehalten haben. Pauline ist verheiratet, hat vier Kinder und ist immer noch mit dem Typ zusammen, den sie 1988 kennengelernt hat. Ich war dabei, als die Begegnung statt fand. Ein ziemliches Arschloch, dachte ich damals. Pauline wohnt jetzt in einem schmucken Dorf in der West-Banlieue, und ist immer noch für Kateschismus zuständig, jetzt als Mama. Agnès dagegen ist Lehrerin an irgendeiner Schule in der Ost-Banlieue. Sie ist ebenfalls verheiratet, trägt einen Doppelnamen und hat gerade eine Unterschriftenliste gegen irgendein neues Bildungsgesetz signiert.

Habe keine grosse Lust, mit beiden Kontakt aufzunehmen, was soll's, aber es tut gut zu wissen, dass es ihnen allen Anschein nach gut geht. Andererseits bin ich doch überrascht, wie wenig überraschend ihr bisheriges Leben verlief...

13 Februar 2006

Stunden für alle

Eine eher unerfreuliche Charakteristik meiner Funktion als frisch gewählter Personalvertreter ist es, dass ich von nun an reihenweise (unbezahlte) Überstunden ableisten muss. Überraschung. Heute nehme ich, der Transparenz wegen, an der traditionellen Vorverteilung der Kurse teil, schon am Dienstag beginnt das neue Semester. Die Stimmung ist mittelprächtig. Statt der erhofften langen Schlangen begeisterter Einschreibewilliger ist mehr oder weniger tote Hose. Man tröstet sich: es ist Samstag, das Wetter ist auch nicht gerade berauschend, wir stehen kurz vor der quinzena, d.h., die Mexikaner, die ihr Gehalt meistens vierzehntäglich und nicht monatlich ausbezahlt bekommen, sind so gut wie pleite, ausserdem war gerade verlängertes Wochenende etc. etc.

Der Montag wird hoffentlich besser, aber wie dem auch sei, die Kurse müssen verteilt werden, und zwar jetzt. Bei uns läuft's wie überall: Dienstalter hat Vorfahrt. Die dienstältesten Kollegen haben demnach Anrecht auf die Filetstücke: interne Kurse, die nicht zu früh beginnen, nicht zu spät enden. Für Neulinge dagegen wird's meistens knapp: externe Kurse, die ausserhalb des Instituts jottwedeh um sieben Uhr früh beginnen, reihenweise Vertretungen (kann ich ein Liedchen von singen...). Kopfzerbrechen bereitet, welches Kursangebot wir beibehalten, welches wir zurückziehen. Damit ein Kurs rentabel bleibt, müssen sich mindestens acht Schüler einschreiben. Angesichts des lauen Samstags sind wir auf Spekulationen angewiesen, beschliessen, den Anfängerkurs mit bisjetzt vier Teilnehmern einem bedürftigen Kollegen zu überlassen. Die ganze Prozedur dauert sieben stressige Stunden, auch wegen des schwelendes Konfliktes zwischen Institutsdirektor, der nach sechs Monaten immer noch nicht richtig Fuss gefasst hat, und der Leiterin der internen Kurse, die de facto wohl oder übel das gesamte Institut leitet. Am Ende braucht niemand am Hungertuch zu nagen (allerdings wären manche gut beraten, auf die Sonderangebote in ihrem Supermarkt zu achten).

10 Februar 2006

Vorträglich

In den zwei Wochen zwischen den Semestern ist am IFAL wie immer Weiterbildung angesagt, meistens Workshops, in denen neueste pädagogische Entwicklungen dargeboten werden. Man will ja nicht einrosten, sondern im Gegenteil seinen Fundus an Unterrichtsmaterialien erneuern. Da ich keine pädagogische Ausbildung genossen habe und überhaupt jahrelang jegliche pädagogische Ausbildung für ungeniessbar hielt, besinne ich mich auf meine universitäre Vergangenheit und schlage zwei Vorträge vor, einen über Michel Sardou, einen über Tintin, zu deutsch: Tim (und Struppi).

Bereits im Vorfeld löste die Ankündigung des Sardou-Vortrags etwas Befremden aus. In Deutschland ist Michel Sardou ungefähr so bekannt wie Herbert Grönemeyer in Frankreich, nämlich gar nicht, in seinem Heimatland dagegen ist er ein Superstar, und das immerhin schon seit rund dreissig Jahren. Das Problem ist die Kontroverse um Sardou, wurde er doch nicht selten als Fascho oder reaktionärer Spiesser verurteilt. Eben drum musste ich mehr als mir lieb war Kollegen gegenüber beteuern, ich sei ganz bestimmt kein Sardou-Fan, und ich bin auch tatsächlich keiner, nicht aus irgendwelchen dämlichen gesinnungsästhetischen Gründen, sondern einfach weil Sardou mir textlich und musikalisch zu pompös, zu kitschig und zu dürftig ist. Was mich aber nicht hindern soll, trotzdem einen Vortrag über seine umstrittenste und militanteste, 1976 erschienene Platte zu halten.

Sardou war im Grunde genommen nur der Vorwand, einige Thesen der gender studies zu illustrieren und nachzuweisen, dass im Frankreich der Seventies eine Männlichkeitsdebatte statt fand, die allerdings weitgehend unbeachtet blieb. Nicht zuletzt wegen Sardou selbst: einer der Songs, "Je suis pour" ("Ich bin dafür") war ein Statement zur Todesstrafe und erregte bei Erscheinen so sehr die Gemüter, dass Sardou bei der folgenden Tour nur unter Polizeischutz die Bühne betreten konnte und seine letzten Tourdaten entnervt cancelte. Immerhin war die Todesstrafe in Frankreich damals noch legal, die Guillotine wurde erst 1981 eingemottet. Zieht man jedoch die anderen Lieder des Albums hinzu, wird schnell deutlich, dass es Michel Sardou um die Verteidigung der männlichen Tradition, des starken, dominanten Mannes in der Ära des Feminismus geht. Die Verhängung der Todesstrafe als Racheakt ist nur ein Teilaspekt davon. Kein leichtes Spiel, dessen wird sich Sardou bewusst, und gegen Ende der Platte bläst er zum Rückzug, ins nostalgisch verklärte Frankreich der Vorkriegszeit, des kolonialen Imperiums. Schliesslich, als alle Stricke offenbar gerissen sind, in eine Utopie und Uchronie, wo er als "roi barbare" ("Barbarenkönig") doch noch seinem Männlichkeitswahn frönen darf. Dort, und nur dort. Das zu dramatisieren, dafür verdient Sardou Respekt. Doch schon im selben Jahr entwickeln andere Gesangsartisten Gegenmodelle, dekonstruieren mit viel Humor Männlichkeitsriten und prägen für die nächsten Jahre ein neues Männlichkeitsbild. Dem allerdings auch keine grosse Zukunft beschieden sein wird.

Der Tintin-Vortrag hatte wegen des Karikaturenstreits ein paar aktuelle Bezüge und basierte auf einem Aufsatz, den ich vor Jahren schon in Greifswald veröffentlicht hatte, aufgemöbeltes Recycling also. Ich hatte das Konzept des iconic turn aufgegriffen und für eine transdisziplinäre Bildwissenschaft plädiert, zumal wir in unseren Kursen reihenweise Bilder von überall her benutzen und dementsprechend auch die Kompetenz brauchen, ein Bild deuten zu können - auch und gerade im Hinblick auf kulturelle Missverständnisse. Immerhin sind wir schon so weit, dass in Lehrbüchern zu Französisch als Fremdsprache keine Schweinefleischprodukte abgebildet sind, da die Verleger ja auch in islamische Länder verkaufen wollen

07 Februar 2006

Zeit ist Geld ist Zeit

Oh nein. Nicht schon wieder. Muss das sein? Anscheinend ja. Wieder einmal also haut mir einer diesen abgedroschenen Spruch um die Ohren: Zeit ist Geld. Im Wörterbuch für Dummdeutsch hat der Spruch längst seinen angestammten Platz, aber solange wir unter der Fuchtel des ökonomischen Denkens leben und (vor allem) arbeiten, wird uns das nicht erpart bleiben. Und, tja, wenn sich alles auf minimal input/maximal output reduziert, dann ist Zeit wirklich Geld (und umgekehrt). Wie heisst es noch so schön im Volksmund? Das Geld heilt alle Wunden.

Der eigentliche Grund für diesen Auspruch war die heutige Visite unseres Herrn Kulturattachés, gleichzeitig der eigentliche Big Boss unseres Instituts. Eigentlich ein umgänglicher, gebildeter Mann. Nur wenn's um Geld geht (oder um Zeit?), wird er manchmal ungemütlich. Dabei handelt es sich doch nur um einen befristeten Arbeitsvertrag für Nathalie und ein damit verbundenes jämmerliches Monatsgehalt von umgerechnet 1000 Euro, dann könnte man endlich mit diesem E-Learning-Projekt vorankommen...

Wir sollen erstmal, sagt der Boss, eine Kosten-Nutzen-Rechnung aufstellen, dann könne man weiterreden und -rechnen. Im Nachhinein denke ich, wollte er bloss Zeit schinden. Oder Geld. Oder beides.

04 Februar 2006

Der Pazifik, endlich

Historisch, meinedamunherrn: am 28. Januar gegen Mitternacht fand erstmals zwischen dem Pazifik und mir eine Begegnung der dritten Art statt. Für meine Adidas-Turnschuhe war es sogar eine Begegnung der endgültigen Art, da sie nach übermässigem Meerwasserkontakt nun so gut wie futsch sind. Andererseits: war Paris schon eine Messe wert... Und überhaupt, als Julius Cäsar den Rubicon überschritt und seine Aleas jacte, stand ihm mit Sicherheit nichts weniger im Sinn als seine Legionärssandalen (anderslautende Überlieferungen sind Fälschungen).

Der Pazifik also. Für einen Durchschnittseuropäer bleibt das nach wie vor faszinierend. Man bedenke, das nächste Festland, das wären die Philippinen. Einige werden sich wundern, wieso ich nach über vier Jahren Mexiko jetzt erst zum Pazifik gelange, wo doch die Küste nur knapp fünf Stunden Busfahrt von der Haupstadt entfernt ist. Ehrlich gesagt, keine Ahnung. Wir hatten das Projekt mehrmals ins Auge gefasst, dann verschoben und wieder verschoben und letztlich musste Kollegin Delphine die Idee haben, ihre despedida in Pie de la Cuesta zu feiern, bis wir uns den notwendigen Ruck geben konnten. Als Kölner rennt man ja auch nicht täglich in den Dom, der läuft einem ja nicht fort. Der Pazifik ebensowenig. Übrigens, darf ich vorstellen?

Ich habe das Bild etwas retuschiert, mehr türkis für's Meer. So kleine Bildbearbeitungsprogramme wirken manchmal Wunder...