02 März 2006

Das Geheimnis des Rätsels des Schatzes

Statt auf Löwen-, Fuchs-, Hasen- oder Hexenjagd zu gehen, kann man sich auch mit harmloseren Varianten zufriedengeben. Zum Beispiel mit der Bücherjagd. Was México betrifft, so befinden sich die ergiebigsten Jagdgründe in der Calle Donceles, im historischen Zentrum. Ein Antiquariat grenzt dort ans andere, die Bücher stapeln sich bis zur Decke, mal penibel sortiert, mal chaotisch angehäuft. Ich für meinen Teil suche in erster Linie nach deutschen oder französischen Büchern. Manchmal werde ich fündig, stosse auf eine Rarität, eine längst vergessene Erst- oder Kleinstausgabe, nette Sächelchen eben. Ich kann mich allerdings auch mit Kleinwild begnügen. Das Spannende ist ja, nicht nur das Buch selbst, sondern auch Spuren vom ehemaligen Besitzer zu finden, schliesslich haftet an jedem deutschen oder französischen Buch, dass man hier in Mexiko findet, etwas Geheimnisvolles: wie kam das Buch hierhin? Wer war der Besitzer? Wer hat es verkauft?

Diesmal finde ich ein Werk der belgischen Autorin Françoise Mallet-Joris, "La maison de papier", Erstausgabe, erschienen 1970 beim Pariser Grasset-Verlag. Nichts Besonderes, die Taschenbuchausgabe ist im Handel vorrätig - wäre da nicht ein Kärtchen, das ein gewisser André M***, seines Zeichens Generalsekretär einer Firma aus dem Vorortstädtchen Ivry-sur-Seine, an eine ebenso gewisse Suzanne M*** richtet. Die Firma gibt es übrigens noch, hab's überprüft. Das Kärtchen ist auf den 17 November 1970 datiert. Der Wortlaut (ich übersetze):

mit meiner Hochachtung
für Frau Suzanne M***
die Memoiren des kürzlich verstorbenen Sie-wissen-schon-wer sind nicht mehr vorrätig. Eine Neufauflage ist in Planung. Mit meinem Bedauern.

Hmm... Kürzlich verstorben? Das kann nur Charles de Gaulle sein, verstorben am 9. November 1970. Die Memoiren blieben zwar unvollendet, doch ist es denkbar, dass sozusagen als Totenehrung ein Run auf den ersten bis dato veröffentlichten Band einsetzte. Okay, zusammengefasst hiesse das Folgendes: Frau Suzanne M*** (wer war sie? eine Französin in Mexiko? als was? verheiratet? mit wem?) bittet ihren Bekannten André M*** um die Memoiren de Gaulles. Dieser gehorcht, kehrt aber mit leeren Händen von seinem Buchhändler zurück und schickt ihr stattdessen "La maison de papier" von Françoise Mallet-Joris. Komisch, warum ausgerechnet dieses Buch? Mallet-Joris galt noch zu dieser Zeit als Autorin eines skandalösen Romans, in dem erstmals lesbische Liebe thematisiert wurde, hatte allerdings in späteren Jahren den ein oder anderen Literaturpreis eingeheimst und war gerade Mitglied der Académie Goncourt geworden. Nichts jedoch, was auf einen Zusammenhang mit dem verstorbenen Staatsmann schliessen liesse. Wahrscheinlich war Freund André nicht gerade ein Literaturkenner... Was verband ihn mit Suzanne M***? War sie vielleicht die Frau eines Geschäftspartners? Vielleicht nicht. Warum hat Suzanne M*** das Kärtchen im Buch aufbewahrt? Seltsam ist auch die Formulierung "Sie-wissen-schon-wer", so als wäre nicht de Gaulle, sondern der leibhaftige Lord Voldemort gemeint.

Ich hätte beinahe noch ein Traktat über die Komödie gekauft, dass ein Typ namens Aristoteles geschrieben hat (vermutlich ein Pseudonym). Das Buch wirkte sehr alt, die Seiten waren unten seltsam geschwärzt und das Ganze war auf Griechisch. Aber da mich Komödien nicht interessieren...

Keine Kommentare: