18 September 2006

Welke Blätter 3


Meine erste Begegnung mit Professor Knabe war ein Fiasko ohnegleichen. Ich hatte eine mündliche Nachprüfung bei ihm und ganz der Torfkopf, der ich damals war, schoss ich einen Bock nach dem anderen. Jahre später, als ich sein Assistent wurde, wunderte ich mich noch immer, warum er mich damals nicht mit einem kräftigen Fusstritt aus der Uni befördert hatte.

Ich wunderte mich überhaupt, wieso er ausgerechnet mich zum Assistenten gemacht hatte und hielt das für ein kurioses Missverständnis. Kollegen, die ebenfalls frisch eingestellt worden waren, stürzten sich mit Heisshunger auf neue theoretische Ansätze und jonglierten schon bald mit mehrsilbigen Fremdwörtern, deren Wichtigkeit und vor allem Nutzen mir nicht in den Kopf wollten. Ich gab ein Proseminar über La petite marchande de prose von Daniel Pennac; zwei Studentinnen erschienen und bewiesen eine bewundernswerte Ausdauer bis zu Semesterschluss. Und nebenher assistierte ich so gut es eben ging Professor Knabe in seinem kleinen Büro in der grossen Uni, der Uni Köln.

Wir sprachen über Musik, über Fussball, über die uns gemeinsame Anglophilie, über Eisenbahnen, eine seiner Leidenschaften. Wir sprachen weniger über französische Literatur, obwohl das eigentlich unser Job war. Wir duzten uns nie, höchstens aus Versehen.

Zwei Jahre später zogen wir nach Greifswald, an die Ostsee. Ich hatte sowieso von Köln die Nase voll, und mir gefiel diese deutsche akademische Tradition: der Meister geht, der Geselle geht mit - obwohl ich dafür eine liebgewonnene Mitbewohnerin verlassen musste. In Greifswald, unter dem riesigen, wechselhaften Himmel, verlor ich Stück für Stück meine Illusionen in Sachen Uni-Karriere. Möglich, dass Professor Knabe es merkte. Von den fünf Jahren, die in an der alma mater gryphiswaldensis verbrachte, bleibt mir ein Nick, Gryphon, und damit zog ich nach Mexiko.

Mit meiner besseren Hälfte besuchte ich ihm ein Jahr später im Leverkusener Krankenhaus. Die Chemotherapie und eine misslungene Operation hatten Spuren hinterlassen. Er bot uns Kaffee an und war sichtlich erfreut, dass ich in Mexiko eine Band gefunden hatte. Wir eruierten, ob man die prähistorischen Romane von Rosny l'Aîné zur Gattung der Science-Fiction zählen konnte. Er starb im Mai 2003. Heute wäre er 64 Jahre alt geworden.

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