10 Februar 2006

Vorträglich

In den zwei Wochen zwischen den Semestern ist am IFAL wie immer Weiterbildung angesagt, meistens Workshops, in denen neueste pädagogische Entwicklungen dargeboten werden. Man will ja nicht einrosten, sondern im Gegenteil seinen Fundus an Unterrichtsmaterialien erneuern. Da ich keine pädagogische Ausbildung genossen habe und überhaupt jahrelang jegliche pädagogische Ausbildung für ungeniessbar hielt, besinne ich mich auf meine universitäre Vergangenheit und schlage zwei Vorträge vor, einen über Michel Sardou, einen über Tintin, zu deutsch: Tim (und Struppi).

Bereits im Vorfeld löste die Ankündigung des Sardou-Vortrags etwas Befremden aus. In Deutschland ist Michel Sardou ungefähr so bekannt wie Herbert Grönemeyer in Frankreich, nämlich gar nicht, in seinem Heimatland dagegen ist er ein Superstar, und das immerhin schon seit rund dreissig Jahren. Das Problem ist die Kontroverse um Sardou, wurde er doch nicht selten als Fascho oder reaktionärer Spiesser verurteilt. Eben drum musste ich mehr als mir lieb war Kollegen gegenüber beteuern, ich sei ganz bestimmt kein Sardou-Fan, und ich bin auch tatsächlich keiner, nicht aus irgendwelchen dämlichen gesinnungsästhetischen Gründen, sondern einfach weil Sardou mir textlich und musikalisch zu pompös, zu kitschig und zu dürftig ist. Was mich aber nicht hindern soll, trotzdem einen Vortrag über seine umstrittenste und militanteste, 1976 erschienene Platte zu halten.

Sardou war im Grunde genommen nur der Vorwand, einige Thesen der gender studies zu illustrieren und nachzuweisen, dass im Frankreich der Seventies eine Männlichkeitsdebatte statt fand, die allerdings weitgehend unbeachtet blieb. Nicht zuletzt wegen Sardou selbst: einer der Songs, "Je suis pour" ("Ich bin dafür") war ein Statement zur Todesstrafe und erregte bei Erscheinen so sehr die Gemüter, dass Sardou bei der folgenden Tour nur unter Polizeischutz die Bühne betreten konnte und seine letzten Tourdaten entnervt cancelte. Immerhin war die Todesstrafe in Frankreich damals noch legal, die Guillotine wurde erst 1981 eingemottet. Zieht man jedoch die anderen Lieder des Albums hinzu, wird schnell deutlich, dass es Michel Sardou um die Verteidigung der männlichen Tradition, des starken, dominanten Mannes in der Ära des Feminismus geht. Die Verhängung der Todesstrafe als Racheakt ist nur ein Teilaspekt davon. Kein leichtes Spiel, dessen wird sich Sardou bewusst, und gegen Ende der Platte bläst er zum Rückzug, ins nostalgisch verklärte Frankreich der Vorkriegszeit, des kolonialen Imperiums. Schliesslich, als alle Stricke offenbar gerissen sind, in eine Utopie und Uchronie, wo er als "roi barbare" ("Barbarenkönig") doch noch seinem Männlichkeitswahn frönen darf. Dort, und nur dort. Das zu dramatisieren, dafür verdient Sardou Respekt. Doch schon im selben Jahr entwickeln andere Gesangsartisten Gegenmodelle, dekonstruieren mit viel Humor Männlichkeitsriten und prägen für die nächsten Jahre ein neues Männlichkeitsbild. Dem allerdings auch keine grosse Zukunft beschieden sein wird.

Der Tintin-Vortrag hatte wegen des Karikaturenstreits ein paar aktuelle Bezüge und basierte auf einem Aufsatz, den ich vor Jahren schon in Greifswald veröffentlicht hatte, aufgemöbeltes Recycling also. Ich hatte das Konzept des iconic turn aufgegriffen und für eine transdisziplinäre Bildwissenschaft plädiert, zumal wir in unseren Kursen reihenweise Bilder von überall her benutzen und dementsprechend auch die Kompetenz brauchen, ein Bild deuten zu können - auch und gerade im Hinblick auf kulturelle Missverständnisse. Immerhin sind wir schon so weit, dass in Lehrbüchern zu Französisch als Fremdsprache keine Schweinefleischprodukte abgebildet sind, da die Verleger ja auch in islamische Länder verkaufen wollen

Keine Kommentare: