27 September 2006

Lehreralltag draussen

Schon lange keinen Aussenkurs mehr gegeben. Das dachte sich unsere Aussenkurskoordinatorin wohl auch und machte mir eins ihrer berüchtigten Angebote, die man nicht ablehnen kann. Angenommen. Stattgegeben. Dreimal die Woche von halb neun bis zehn, bei einer französischen Gasfirma, in eines dieser grossen Geschäftsgebäude an den Lomas de Chapultepec. Einzelunterricht.

Im Taxi versuche ich mir vorzustellen, wie mein Pappenheimer wohl aussehen mag. Wenn man in Firmen unterrichtet, wechselt man das Universum. Man verlässt den heimischen Klassensaal und begibt sich zum Kunden, in sein Bureau, in sein Revier. Man kann allerdings kaum behaupten, dass das den Lerneffekt steigert. Die Unterbrechungen häufen sich: Kollegen, die schnell ein "que tal, cabrón?" hereintrompeten, das ununterbrochene Handyklingeln, eine unvorgesehene Mitarbeiterversammlung, eine Videokonferenz, eine Geschäftsreise, wer weiss was noch alles, von den üblichen Verspätungen ganz abgesehen... Das Lehrerlein wappnet sich mit der berufsspezifischen Engelsgeduld, und wenn er jemals daran dachte, endlich mal Goethes gesammelte Werke zu lesen, dann wäre jetzt der Zeitpunkt gekommen.

Im Gebäude halte ich der Rezeptionistin meinen Ausweis hin, sie überreicht mir ein selbstklebendes "visitante"-Schildchen und einen zeitlich begrenzten Pass, mit dem ich durch die erste Schranke komme, hin zum Aufzug, der mich im 16. Stock absetzt, ich lasse mir vom dortigen Rezeptionisten den Pass abstempeln, trage mich im Register ein (ich bin pünktlich) und erfahre, dass mein Schüler noch nicht eingetroffen sei. Ach nee.

Manchmal mutiert das Lehrerlein zum Psychotherapeuten. Dann nämlich, wenn der Kunde uns statt brav Grammatik zu büffeln, von seinen Scherereien mit Dingsbums erzählt, und Dingsbums ist, wie es sich gehört, ein selten doofes Arschloch. Solange er's mir auf französisch erzählt, ist es mir wurscht. Vielleicht sollte ich mir irgendwann einen schönen freudianisch-weissen Bart wachsen lassen, um glaubwürdiger zu wirken.

Minuten verstreichen. Ich schmökere angeregt. Eine junge Frau tritt auf mich zu. Ich weiss schon, was sie sagen wird.

- Der Kurs muss leider ausfallen. Herr *** hat eine wichtige Versammlung...
- Ach du grüne Neune. (Gewonnen!). Aber morgen geht klar, oder?
- Äh... leider auch nicht. Die Versammlung wird etwas länger dauern...
- Verstehe. (Klar doch. Versammlungen dauern immer 48 Stunden. Hab ich auch ständig). Und Donnerstag?
- Wir melden uns.
- Ausgezeichnet. (Dann schon mal fröhliche Weihnachten). Hasta luego.

Mir egal, bezahlt werde ich trotzdem. Ein Vertrag ist ein Vertrag ist ein Vertrag. Das Witzige dabei ist, dass ich den Kurs nun schon seit drei Wochen habe, und meinen Pappenheimer habe ich noch kein einziges Mal zu Gesicht bekommen. Das Gebäude ist übrigens ganz hübsch; im Erdgeschoss gibt's sogar eine kleine Cafeteria...

25 September 2006

Festival

Kinomässig herrscht in Frankreich schon seit längerem Saure-Gurken-Zeit; so gesehen überwiegt beim Besuch eines französischen Filmfestivals in Mexiko-Stadt zunächst einmal begründete Skepsis. Vor zwei Jahren, weiss ich noch, schickte man uns u.a. einen Film, der zuvor in Frankreich bei Kritikern und Kinogängern durchgefallen war. Was sollte der Film dann noch hier? Schnell noch ein paar Rendite herausschlagen? Das mexikanische Publikum für dumm verkaufen? Weiss der Teufel...

Trotzdem, und das ist die gute Neuigkeit, bleibt französisches Kino nach wie vor attraktiv. Die Säle sind brechend voll, das Publikum zu rund 80% mexikanisch. Die Filme selbst allerdings waren ganz nett bis belanglos. Überrascht hat mich ein Splatter-Film, Sheitan, obwohl man mich normalerweise mit solchen Machwerken jagen kann. Das Interessante an dem Film war, dass im Gegensatz zu dem zehn Jahre alten La Haine, in dem Immigrantenkinder (vergeblich) gegen eine französische "Normalität" kämpften, eben diese Immigrantenkinder nun selber die Normalität darstellen und in einem Provinzkaff voller degenerierter Durchschnittsgallier landen, die ihnen auf die ein oder andere Weise an den Pelz wollen. Eine bitterböse, wenn auch genussvolle Umkehrung - z.T allerdings frommes Wunschdenken.

Für einen bescheidenen Cineasten sind Festivals die Gelegenheit, neben den Filmen auch Leute zu gucken, Schauspieler, Filmemacher, wenn nicht sogar die ganz grossen Stars-die-erstaunlich-normal-geblieben-sind-könnte-man-direkt-auf-eine-Tass-Kaff-nach-Hause-einladen. Da es bei diesem Festival nicht das geringste Stück Wellblech zu gewinnen gab, blieb die Stippvisite vom Kaliber eines Gérard Depardieu natürlich aus. Aber immerhin kam Dani, die französische Marianne Faithfull, und Danièle Thompson, die Drehbuchautorin von La Boum (die Fete), und eine vielversprechende Zwanzigjährige, die schon mit 17 den Stoff für ein Drehbuch ablieferte, das der Papa dann verfilmte, cf. mein eher misslungenes Photo - mehr war leider nicht drin, wegen der miserablen Beleuchtung; man sagt ja immer, Stars leuchten von sich aus, aber das hat auch irgendwo seine Grenzen....

21 September 2006

Kinosophie

Mein Philosophiekurs geht in die dritte Runde, diesmal mit filmischen Einsprengseln. Die Idee war, ein paar Filmschnipsel zu zeigen und einen Zusammenhang mit philosophischen Texten herzustellen. Komische Idee eigentlich, aber ich brauchte unbedingt eine Variante zum üblichen Tralala, des lieben Stammpublikums wegen; Armando und Alejandra sind schon zum dritten Mal dabei. Werde also in meiner DVD-Sammlung stöbern, brauche was im Stil "Thema 'freier Wille' - Von Anakin Skywalker zu Darth Vader". Hm... wieso habe ich den Eindruck, skeptische Mienen vor mir zu haben?...

Keine Panik. Während der Sitzung vom letzten Dienstag kam mir der Gedanke, das Ganze unter dem Motto "Verzauberung/Entzauberung" aufzuziehen, oder aber "the dream factory vs. fiat lux", oder aber "video ergo fui" - wie bitte? Es ist Zeit für meine Spritze? Ich geh' ja schon...

Ich werde alles in den Mixer stopfen; irgendwas Geniessbares wird schon dabei rauskommen. Armando hat mir bereits ein Referat angeboten: Der Exorzist im Lichte der Philosophie Teilhard de Chardins. Klingt schon mal nicht übel.

Anhang: Das Festival des französischen Films in Mexiko hat begonnen. Das Wochenende wird also sowieso leicht cineastisch.

18 September 2006

Welke Blätter 3


Meine erste Begegnung mit Professor Knabe war ein Fiasko ohnegleichen. Ich hatte eine mündliche Nachprüfung bei ihm und ganz der Torfkopf, der ich damals war, schoss ich einen Bock nach dem anderen. Jahre später, als ich sein Assistent wurde, wunderte ich mich noch immer, warum er mich damals nicht mit einem kräftigen Fusstritt aus der Uni befördert hatte.

Ich wunderte mich überhaupt, wieso er ausgerechnet mich zum Assistenten gemacht hatte und hielt das für ein kurioses Missverständnis. Kollegen, die ebenfalls frisch eingestellt worden waren, stürzten sich mit Heisshunger auf neue theoretische Ansätze und jonglierten schon bald mit mehrsilbigen Fremdwörtern, deren Wichtigkeit und vor allem Nutzen mir nicht in den Kopf wollten. Ich gab ein Proseminar über La petite marchande de prose von Daniel Pennac; zwei Studentinnen erschienen und bewiesen eine bewundernswerte Ausdauer bis zu Semesterschluss. Und nebenher assistierte ich so gut es eben ging Professor Knabe in seinem kleinen Büro in der grossen Uni, der Uni Köln.

Wir sprachen über Musik, über Fussball, über die uns gemeinsame Anglophilie, über Eisenbahnen, eine seiner Leidenschaften. Wir sprachen weniger über französische Literatur, obwohl das eigentlich unser Job war. Wir duzten uns nie, höchstens aus Versehen.

Zwei Jahre später zogen wir nach Greifswald, an die Ostsee. Ich hatte sowieso von Köln die Nase voll, und mir gefiel diese deutsche akademische Tradition: der Meister geht, der Geselle geht mit - obwohl ich dafür eine liebgewonnene Mitbewohnerin verlassen musste. In Greifswald, unter dem riesigen, wechselhaften Himmel, verlor ich Stück für Stück meine Illusionen in Sachen Uni-Karriere. Möglich, dass Professor Knabe es merkte. Von den fünf Jahren, die in an der alma mater gryphiswaldensis verbrachte, bleibt mir ein Nick, Gryphon, und damit zog ich nach Mexiko.

Mit meiner besseren Hälfte besuchte ich ihm ein Jahr später im Leverkusener Krankenhaus. Die Chemotherapie und eine misslungene Operation hatten Spuren hinterlassen. Er bot uns Kaffee an und war sichtlich erfreut, dass ich in Mexiko eine Band gefunden hatte. Wir eruierten, ob man die prähistorischen Romane von Rosny l'Aîné zur Gattung der Science-Fiction zählen konnte. Er starb im Mai 2003. Heute wäre er 64 Jahre alt geworden.

16 September 2006

¡Viva México, cabrónes!


Was denn? Wer behauptet, man müsse sich bis an die Zähne bewaffnen und in High-Tech-Panzern herumkurven, um an einer Militärparade teilzunehmen? Dabei reichen eine alte Obstkiste auf Rädern und ein Stück Schnur vollkommen, um in die Fussstapfen stolzer Regimenter zu treten und meinetwegen die Wacht am Rhein abzulösen.

Nun gut, Militärparaden sind wohl nicht anderes als eine überteuerte Variante des Satzes "Ich hab 'nen grösseren", den jeweilige Machthaber an den Rest der Welt adressieren. Zum Glück sind wir nicht in Nordkorea, also gab's wenigstens keine Atomraketen, keine grenzdebilen Diktatoren und vergreiste Generäle. Statt dessen zeigen die Mexikaner Beschaulisches: das Krankenschwester-Bataillon, die Kläffer-Brigade, das Speleologen-Regiment, die Volksküchen - und vor allem die charros im wie-man-sich-die-Mexikaner-so-vorstellt-Kostüm. Anbei einige Impressionen dazu. Rührt Euch.

Mehr Bilder gibt's hier.

14 September 2006

AMLOpolis - das Ende.


Tja, viel ist nicht geblieben vom plantón... Nächsten Samstag wird an selber Stelle wegen des Nationalfeiertags die Armee vorbeimarschieren. Da mit allem Nationalen in Mexiko nicht zu spassen ist, zogen es die Besetzer vor, die Strasse zu räumen. Für Freitag ist noch eine Demo im Stadtzentrum geplant, und AMLO hat vor, sich bei der Gelegenheit zum, ich zitiere, "rechtmässigen Präsidenten" ausrufen zu lassen und eine Parallelregierung zu bilden. Präsident Vicente Fox hingegen zieht es vor, den Nationalfeiertag im Bundesstaat Guanajuato zu begehen, also das, was Bayern für Stoiber ist.

Eine Bilanz? Zunächst einmal: Mexiko ist nicht die Ukraine. Was in Osteuropa klappte, funktioniert hier nicht. Im Gegensatz zur Ukraine war der mexikanische Demokratisierungsprozess schon zu weit fortgeschritten. So zu tun, als befinde man sich noch im Jahr 1999, unter der Fuchtel einer bis ins Mark korrumpierten Einheitspartei, hat nicht viele Leute überzeugt. Immer weniger Leute übrigens, je länger die Besetzung andauerte. Statt einer grossen Volksbewegung, die von der Hauptstadt aus in der Provinz zu ähnlichen Besetzungen geführt hätte, verstummte allmählich die Begeisterung. In diesem Sinne erwies sich die Strategie der Regierung als erfolgreich: einfach austrocknen lassen, auf ein hauptstädtisches Phänomen reduzieren.

Also alles für die Katz? Nicht ganz. Ich diskutierte noch letztens mit Don Joaquín, einem unserer liebsten Taxifahrer. Er bedauere zutiefst, dass die Regierungsperiode Fox zur Spaltung des Landes geführt habe, und sein Nachfolger werde sich damit herumschlagen müssen. Gut, meinetwegen, aber wo soll denn da das Problem sein? Alle unsere kleinen westlichen Demokratien sind gespalten, das ist ja gerade kennzeichnend für jede Demokratie. Es war natürlich einfacher, sich einig gegen eine Partei zu stellen, die 70 Jahre lang an der Macht war. Jetzt geht es darum, eine solide Opposition aufzubauen, und zwar eine parlamentarische, und das muss in die Köpfe wohl oder übel rein (leichter gesagt als getan, ich weiss...)

Als ich heute abend den plantón überquerte, waren die Leute dabei, Zelte abzubauen, Planen zusammen zu falten und zu verladen. Alles mit der grössten Ruhe, wie schon die ganze Zeit über, seit der plantón besteht. Kann man sich von inspirieren lassen, wer weiss...